Ein zweischneidiges Geschenk
Die Revolutionäre von 1919 haben dem gerade von den Schaltstellen der politischen Macht und von den Pfründentöpfen der Gesellschaft verdrängten früheren „Adel“ ein zweischneidiges Geschenk gemacht. Die Adelstitel sind seither bekanntlich nicht mehr Ausdruck von Privilegien und monarchischer Herrschaft, aber sie sind auch nicht ganz verschwunden, denn sie wurden zum bürgerlichen Nachnamen erklärt. Obwohl in ihrer rechtlichen Bedeutung annulliert, existieren sie noch im Verkehr und werden, so scheint es der Allgemeinheit, noch immer im Glanz des Kaiserreiches geführt. Obwohl es in ganz Deutschland keinen einzigen Adligen mehr gibt, sondern nur noch Namensträger, sind sie den Zeitungen, dem verlängerten Arm des zahlenden Publikums immer wert, ihre Seiten zu füllen, so als ob sich nichts geändert hätte.
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Die Illusion ist natürlich Farbe im Einerlei des demokratischen Alltags, in dem alle gleich sind und in dem keiner sein will wie die anderen. Die Illusion vom „Adel“ ermöglicht den selbsternannten „Fürsten“ und anderen geistigen Schleppenträgern ein Nährsaugen an der Öffentlichkeit, das ihren dynastisch-ideologischen Dünkel notdürftig am Leben erhält.
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Aber, und das ist der Pferdefuß, die Phantasmagorie vom „Adel“ zieht natürlich auch die Eindringlinge an, die sich für Geld den Nachnamen kaufen und die Märchenillusion kostenfrei dazu. Für die Anmaßung, wegen ihres Titels, der keiner mehr ist, über den Bürgern zu stehen, müssen die sogenannten adeligen Familien heute den Preis bezahlen, erobert und reputierlich ausgenutzt zu werden. Zugespitzt kann man sagen, daß, nur weil es die Eindringlinge geben kann, die Vertreter der ehemaligen Adelsfamilien im Verkehr noch ihre Scheintitel vorweisen können (daß österreichische Familien, denen seit 1919 alle Titel verboten und auch nicht als Nachnamen gestattet sind, es mit unerwünschten neuen Familienmitgliedern zu tun hätten, habe ich noch nicht gehört).
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Also müßte im Grunde der sich selbst „fürstende“ Prinz Karl Friedrich den adoptierten Familienmitgliedern und sonstigen unerwünschten Neuzugängen danke sagen. Denn ohne ihre Existenz könnte kein Prinz sich zum Fürsten ernennen, weil ja schon der „Prinz“ verboten wäre.
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Der monarchistische Unsinn des eigentlich abgeschafften Adelsunwesens feiert Urstände durch die Selbstverherrlichung der Nachnamensträger, wenn diese, wie zum Beispiel Karl Friedrich von Hohenzollern, die bekannten Pressestatements darüber heraussprudeln, wer von all den legalen, legitimen und vollberechtigten Familienmitgliedern trotz alldem angeblich doch, auf unbekannte Weise kein Familienmitglied sei.
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Dies erinnert uns an das Goethe-Jubiläumsjahr 1999 und daran, wie in der Weimarer Goethe-Gesellschaft dem Vernehmen nach darüber diskutiert wurde, daß die Werke des Gottgleichen im gesellschaftlichen Prozeß verstaubter Geistesadel und praktisch unbekannt und bedeutungslos geworden sei. Es wurde überlegt, ob vielleicht noch durch Bedeutungsumkehr die Aufmerksamkeit der Presse zurückzugewinnen sei, indem man mitteilt, welche Werke nicht vom Dichterfürsten geschrieben seien und wo er in Weimar nicht geschlafen hat. Bei Goethes hat es nicht funktioniert.
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Im Falle des Namensträgers in Sigmaringen geht es freilich um mehr als nur die Historiographie. Es geht darum, den Popanz am Leben zu erhalten, daß die nach bürgerlichem Recht organisierte Hohenzollern-Familie noch immer eine zur Herrschaft berechtigte Dynastie sei. Nun ist die Konsequenz daraus, daß die, die sich der „adligen“ Empörung der selbsternannten Fürsten über bürgerliche Neuzugänge anschließen oder sie interessiert-abschätzig beobachten, sich selbst geistig noch nicht aus dem feudalistischen 19. Jahrhundert herausgearbeitet haben können und die Geschichtskapitel vergessen haben müssen, mit welchem Leid der demokratischen Revolutionäre in Deutschland die Demokratie gegen die Monarchie durchgesetzt werden mußte.
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Die Parlamentarisierung war in den deutschen Staaten gerade auch wegen des Widerstandes des Hohenzollern Friedrich Wilhelm IV. und anderer zäher als in den meisten europäischen Ländern. Im Vormärz, in dem es auf die 1848er Revolution und den späteren, verheerenden „deutschen Sonderweg“ zuging, nannte Heinrich Heine die Aristokratie, die sich Macht und Ausbeutung gegen den Willen und auf Kosten der Bevölkerung zurückerkämpfte, aus tiefster Verachtung das schamlose, saugerische „Adelsgeziefer“. Diesen Eindruck sollten Nachnamensträger wie Karl Friedrich nicht befeuern. Es stünde den früheren Adelsfamilien heute, 100 Jahre nach dem Sieg der Demokratie über ihre Gewaltherrschaft gut zu Gesicht, sich zur demokratischen Wirklichkeit zu bekennen. Es stünde ihnen gut zu Gesicht, sich nicht die monarchistischen, Herrschaft ankündigenden Titel wie die des „Fürsten“ und des „Erbprinzen“ umzuhängen.